Genossenschaften: Das Arbeitsmodell der Zukunft?

  • Genossenschaften haben in Österreich eine vergleichsweise hohe Bedeutung für die nationale Wirtschaft. Gerade in Zeiten der Digitalisierung könnte diese Organisationsform zum Gegenmodell von Uber & Co. werden. Sie hat in Österreich das Image einer „sympathischen“ Organisationsform, ist aber für viele trotzdem im Großen und Ganzen eine Unbekannte: die Genossenschaft. Regional, wirtschaftlich erfolgreich, sicher und kooperativ: Das sind die häufigsten Eigenschaften, die den Genossenschaften in Österreich zugeschrieben werden, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS zeigt. Die typischen Wesensmerkmale und Grundprinzipien der Genossenschaften – Förderung der Mitglieder, Identitätsprinzip (Mitglied ist Eigentümer und Kunde gleichzeitig), Selbstverwaltung, Hilfe zur Selbsthilfe und Solidarität – sind den meisten jedoch kaum bis überhaupt nicht bekannt. In Österreich gibt es rund 1.800 Genossenschaften mit mehr als drei Millionen Mitgliedern. Im Vergleich zu anderen Ländern nehmen kooperative Unternehmen hierzulande eine verhältnismäßig große Rolle ein. Der Cooperative Economy Index, erstellt von den Vereinten Nationen, weist Österreich auf Platz 8 aus. Dieser Index spiegelt den relativen Betrag und Einfluss von Genossenschaften auf eine nationale Wirtschaft wider. Er setzt sich aus einer Gewichtung der Anzahl an Mitgliedschaften, geschaffenen Arbeitsplätzen und den Umsätzen der Genossenschaften zusammen. Auffällig ist jedoch, dass in Österreich pro Jahr lediglich etwa 15 Unternehmen genossenschaftlich gegründet werden. Ist die Genossenschaft kein tragfähiges Organisationsmodell für die Zukunft?

Rückhalt für Einzelkämpfer

  • Die heimische Wirtschaft befindet sich in einem Werte- und Strukturwandel. Immer mehr regionale Unternehmer sehen immer größere Herausforderungen im Bereich Digitalisierung, Globalisierung und Nachhaltigkeit auf sich zukommen, so eine Conclusio der IMAS-Umfrage. Projektarbeit, neue Selbstständigkeit und Sharing Economy bringen auf der einen Seite Freiheiten für Arbeitende und Annehmlichkeiten für Kunden, auf der anderen Seite aber auch schlechte Bezahlung, niedrige Sozialstandards und Vereinzelung. Genossenschaften dagegen verbinden selbstbestimmtes Arbeiten mit dem Rückhalt einer Gemeinschaft. Die Cooperative Smart Austria beispielsweise sieht sich als solidarisches Dach und aktive Vernetzungsplattform für fast tausend Künstler, Kreative sowie Neue Selbstständige in Österreich. Risiken und Ressourcen werden vergemeinschaftet, nachhaltige Arbeitsverhältnisse werden ermöglicht und administrative Tätigkeiten werden für die Mitglieder übernommen.

Genossenschaften als Gegenmodell zu Uber & Co

  • Strukturell stimmen Sharing Economy und das genossenschaftliche Modell überein. „Beide beruhen auf einer Netzwerkorganisation, in der selbstständige Akteure zusammen Gemeinschaftsgüter oder gemeinsam nutzbare Infrastrukturen organisieren“, heißt es im „Genossenschaftsmonitor 2020“ des Wirtschaftsberaters FehrAdvice & Partners. Uber, Ebay oder Airbnb gelten als die bekanntesten Plattformen der Sharing Economy. Sie stehen auch exemplarisch für den Wandel der Arbeitswelt: Sie bieten Produkte und Dienstleistungen meist nicht selbst an, sondern vermitteln diese nur. Taxifahrer (Uber), Verkäufer (Ebay) und Vermieter (Airbnb) haben keine Teilhabe oder Mitsprache. US-Forscher Trebor Scholz von der New School in New York plädiert für digitale Plattform-Genossenschaften, die im Eigentum ihrer Mitglieder stehen und demokratisch organisiert sind, als zukunftsfähige Alternativen. Er sieht darin ein geeignetes Experimentierfeld, wie ökonomische Produktion, menschliche Beziehungen und soziale Eingebundenheit in der Digitalwirtschaft gemeinsam funktionieren können – um bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen, aber auch höhere Produktivität und bessere ökonomische Belastbarkeit zu sichern. Solche Plattform-Genossenschaften gibt es bereits in zahlreichen Sektoren, etwa bei Ferienwohnungen (Fairbnb), Haushaltsdienstleistungen (Up & Go) und Musikstreaming (Resonate).

Wie Genossenschaften regionale Produkte stärken können

  • Genossenschaftliche organisierte Plattformen haben außerdem das Potenzial, durch die Vernetzung von lokalen Akteuren die Wirtschaft vor Ort und insbesondere die Nahversorgung im ländlichen Raum zu stärken. Solche Internetportale stellen einen Marktplatz für lokale Geschäfte und regionale Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung. Dies muss nicht immer online passieren, sondern kann auch in der „analogen“ Wirtschaft erfolgreich sein. In Losenstein im Ennstal wird der Nahversorger im Ort seit über einem Jahr genossenschaftlich betrieben. 90 Mitglieder haben sich mit dem Ziel zusammengeschlossen, den Ortskern zu beleben und regionale Produkte zu forcieren.

Werteaura als Wettbewerbsvorteil

  • „Die Menschen heute wollen wissen, was hinter einem Produkt steckt, wo es herkommt. Sie wollen damit aber auch wissen, was und wer hinter einem Unternehmen steckt, welche Werte es antreibt und wofür es steht“, meinte Professor Dietmar Rößl, Vorstand des Instituts für KMU-Management an der Wirtschaftsuniversität Wien, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Profil“. Genossenschaften würde eine solche Werteaura wie „regionale Verankerung“ umgeben, die Identifikationsflächen, einen emotionalen Mehrwert und damit einen Sinn bietet. „Wenn ein Unternehmen zusätzlich ‚Sinn‘ als weiteren Gegenwert, den ‚sense for money‘ stiften kann, dann hat es einen Wettbewerbsvorteil“, so Rößl.

Fast Facts – die Besonderheiten von Genossenschaften:

  • Genossenschaften sind durch ihren satzungsgemäßen „Förderauftrag“ besonders dem Ziel der wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitglieder verpflichtet. Nicht die Gewinnmaximierung für Einzelne, sondern das langfristige Wohl aller Mitglieder steht im Vordergrund.

    • Bei der Gründung von Genossenschaften ist keine Mindestanzahl an Mitgliedern erforderlich. Es reichen somit auch zwei Gründungsmitglieder.
    • Für die Gründung von Genossenschaften ist kein Mindestkapital nötig.
    • Wer Mitglied einer Genossenschaft werden kann, hängt von der Satzung ab. Dies können natürliche sowie juristische Personen, unternehmerisch tätige eingetragene Personengesellschaften, aber auch ausländische Unternehmen sein. 
    • Anders als bei Kapitalgesellschaften ist beim Eintritt eines neuen Mitglieds keine Meldung an das Firmenbuch nötig, auch ein Notar ist nicht erforderlich.
    • Beim Stimmrecht in der Genossenschaft gilt am häufigsten das Kopfstimmrecht (je Mitglied eine Stimme). 
    • Ein Genossenschafter haftet nur im Fall der Liquidation oder des Konkurses der Genossenschaft. Die Höhe der Haftung ist in der Satzung geregelt. Der häufigste Fall ist, dass zum Geschäftsanteil noch eine zusätzliche einfache Haftung (also im Betrag des Geschäftsanteils) kommt.
    (Quelle: Genossenschaftsverband)

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