Lehre: Wie gelingt der Start mit den Fachkräften der Zukunft?

  • Gerade kleineren Unternehmen fehlt es oft an Ressourcen, um das Onboarding neuer Lehrlinge optimal zu gestalten. Worauf kommt es beim Ausbildungsstart von zukünftigen Fachkräften an? Ein Gespräch mit Robert Frasch, Gründer von lehrlingspower.at und Experte zum Thema Lehrlinge.

Warum ist die Onboarding-Phase für neue Lehrlinge so wichtig?

  • Sie entscheidet über die emotionale Bindung eines Lehrlings zum Unternehmen. Laut Umfragen wollen Jugendliche das Gefühl haben, dazuzugehören und wahrgenommen zu werden. Daher ist es wichtig, dass man die neuen Lehrlinge entsprechend willkommen heißt. Dazu gehört auch, dass der Arbeitsplatz bereits fertig ist. Bei einem Elektrobetrieb im 23. Wiener Bezirk, der immer wieder gutes Feedback für sein Onboarding bekommt, werden den Lehrlingen Werkzeugkoffer mit deren Namen übergeben. Gute Unternehmen involvieren den Lehranfänger teilweise bereits vorher, indem sie zwischen Unterzeichnung des Lehrvertrags und Lehrbeginn mit ihm in Kontakt bleiben. Sei es, um ihm den Firmennewsletter zu schicken, oder ihn vorab zu informieren, was er am ersten Tag braucht – das ist meistens auch für die Eltern sehr vertrauensfördernd.

Wo sind für die Jugendlichen die größten Hürden beim Start in die Lehre?

  • Jugendliche brauchen am Anfang sicher Unterstützung beim Übergang von der Schule aufs Arbeitsleben und unternehmerisches Denken. Sie waren es mindestens neun Jahre lang gewohnt, dass ihnen jemand sagt, was sie zu tun haben. Unternehmen können nicht erwarten, dass ein Jugendlicher sofort weiß, wie er selbstständig arbeiten soll. Das ist er nicht gewohnt. Selbstständigkeit und Eigeninitiative kann man aber bereits beim Onboarding gut fördern, indem der neue Lehrling beispielsweise mit kleinen Aufgaben, wie etwa bei einer Art Rätselrallye, das Unternehmen kennenlernt, z.B: „Finde bis zur nächsten Woche heraus, was die Abteilung XY macht, diese Person kann dir dabei weiterhelfen.“

Wie können Unternehmen beim Onboarding punkten?

  • Die besten Onboarding-Konzepte sind die, für die sich die Leute Zeit nehmen. Es ist nicht wichtig, dass Unternehmen am ersten Lehrtag ein durchgetaktetes, aufregendes Programm durchziehen. Beim Begrüßungstag geht es vor allem um das Zwischenmenschliche. Den Betrieben sollte klar sein, dass nun Jugendliche aus einem Schulumfeld kommen und die letzten Jahre – wenn wir davon ausgehen, dass sie nicht alle Einser-Schüler sind – eher gehört haben, was sie nicht können, und nicht was sie können. Die Jugendlichen sind in den meisten Fällen eher verunsichert, sie wissen außerdem nicht, was nun auf sie zukommt. Daher punkten Unternehmen, die das von Anfang an berücksichtigen und auffangen: den Jugendlichen begrüßen, ihn wahrnehmen und wertschätzen. Das Wichtigste für die Ausbildner ist, für diese jungen Menschen die ersten zwei Tage wirklich Zeit zu haben. Auch das Administrative sollte bereits im Vorfeld und nicht erst am ersten Lehrtag erledigt werden. Die Zeit sollte fürs Kennenlernen genutzt werden – und nicht fürs Ausfüllen von Formularen.

Ist das Onboarding auch Chefsache?

  • Bei den Ausbildungsbetrieben, die die besten Rückmeldungen erhalten, schauen die Chefs mit Argusaugen darauf, dass sie am ersten Tag der Lehrausbildung im Betrieb sind. Mehr als dass sie beim Begrüßungstag kurz vorbeischauen und eine kleine Ansprache halten, muss und soll es ja nicht sein. Das ist ein Punkt, der auch von den Jugendlichen oft genannt wird. Es signalisiert ihnen: Das Unternehmen interessiert sich soweit für uns, dass sogar der Chef kommt.

Was sollte am ersten Tag in jedem Fall mit dem Jugendlichen durchgegangen und gemacht werden?

  • Unternehmen sollten sich vorab überlegen: Was sind die wichtigsten Dinge, die der Lehranfänger wissen muss? Wie funktioniert der Alltag? Das geht bis zu Details wie: Wo bekommt der Lehrling seine Jause her? Am ersten Tag sind jedenfalls die Dos and Don´ts zu kommunizieren. Was geht auf keinen Fall? Beispielsweise eine halbe Stunde auf der Toilette sitzen und YouTube-Videos schauen. Ich höre von vielen Ausbildern, dass es ganz wichtig ist, dass man das Handy nicht verteufeln, sondern den Umgang damit besprechen soll. Empfehlenswert ist außerdem ein Buddy-System. Dem Jugendlichen wird eine Vertrauensperson zur Seite gestellt, zu der er gehen kann, wenn er nicht mehr weiterweiß. Dafür würden sich ältere Lehrlinge, die am besten im letzten Lehrjahr sind, anbieten. Der Lehranfänger sollte gleich am ersten Tag seinen Buddy kennenlernen, damit er einen sicheren Anker hat.

Worauf sollten Unternehmen beim Onboarding besonders achten?

  • Die Betriebe sollten wahrnehmen, dass mit den neuen Lehrlingen eigentlich ihre Facharbeiter der Zukunft kommen – und somit auch die Zukunft des Unternehmens. Facharbeiter werden jetzt schon um horrende Preise gehandelt. Und wenn wir keine Facharbeiter haben, dann können wir in großen Teilen die Unternehmen zusperren. Es kommt somit nicht lediglich ein Lehrling, der nicht unbedingt die besten Noten hatte und nun in der Hierarchie als billige Arbeitskraft ganz unten steht. Ein Lehrling wird oft als Aufwand angesehen. Er ist aber eine Investition in die Zukunft. Wenn Unternehmen über diesen Gedanken nachdenken, dann passiert beim Onboarding eigentlich alles automatisch. Dann haben die Unternehmen bereits gewonnen.

Infobox

  • Robert Frasch ist Experte rund um die duale Ausbildung. Er gründete lehrlingspower.at, ist Herausgeber von ausbilden.co.at und „Lehrlingsausbildung in der Praxis“ und leitet die Bildungs-Allianz im Senat der Wirtschaft Österreich. Als Moderator, Keynote Speaker, Vortragender, Autor und Innovator ist er Ansprechpartner für alle, denen die Qualifizierung und Weiterentwicklung der Lehre ein Anliegen ist.

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